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/ Amiga Plus 1995 #2 / Amiga Plus CD - 1995 - No. 2.iso / internet / faq / deutsch / krieg_im_ehemaligen_jugoslawie < prev    next >
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Text File  |  1995-04-11  |  10.3 KB  |  200 lines

  1.  
  2.                   FAQ: Krieg im ehemaligen Jugoslawien
  3.                   ====================================
  4.  
  5. --------------------------------------------------------------------------
  6.  
  7. F: Wer sind überhaupt die Konfliktparteien?
  8.  
  9. A: Die Konfliktparteien sind Serben, Kroaten und Moslems. Diese
  10.    Gruppen unterscheiden sich zusätzlich noch durch ihre Religion,
  11.    denn während Serben i.d.R. orthodox sind, gehören Kroaten der
  12.    römisch-katholischen Kirche, und Moslems dem Islam an, welche
  13.    man allerdings keinesfalls als Fundamentalisten bezeichnen kann.
  14.    Wichtig hierbei ist es allerdings noch, zwischen den verschiedenen
  15.    Volksgruppen der Serben und Kroaten noch weiter zu differenzieren.
  16.    So unterscheiden wir die in Serbien lebenden Serben, die in Bosnien
  17.    und die in Kroatien lebenden Serben. Genauso die in Kroatien lebenden
  18.    Kroaten, die in Bosnien lebenden Kroaten, und, nicht zu vernach-
  19.    lässigen, die in Serbien lebenden Kroaten (sehr wenig, aber vorhanden).
  20.    Selbst die Moslems sind nicht als einheitliche Konfliktpartei zu be-
  21.    trachten, denn es gibt selbst innerhalb der Moslems noch eine Gruppe,
  22.    angeführt von Abdic, welche sich innerhalb Bosniens für autonom erklärt
  23.    hat. Zusammenfassend kann man sagen, daß es Konfliktparteien im herkömm-
  24.    lichen Sinne nicht gibt, denn die einzelnen Parteien sind heute Freunde
  25.    und morgen Feinde (s.u. "Wer kämpft mit wem?").
  26.  
  27. --------------------------------------------------------------------------
  28.  
  29. F: Wo genau findet der Krieg statt?
  30.  
  31. A: Am Anfang, also nach der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens und
  32.    Sloweniens (Juni '91), fand der Krieg noch eben in Slowenien (am
  33.    Flughafen von Ljubiljana kam es zu den ersten Schüssen) und Kroatien
  34.    statt. Später entfernte sich der Krieg aus Slowenien, in die
  35.    verschiedenen Grenzgebiete Kroatiens. Vor allem die Städte Osijek
  36.    und Vukovar waren zu diesem Zeitpunkt stark betroffen. Danach wurde
  37.    ein Drittel des Staatsgebietes von Kroatien durch serbische Frei-
  38.    schärler mit Unterstützung durch die ehem. jugoslawische Volksarmee
  39.    (faktisch: die serbische Armee) besetzt.
  40.    Nachdem in den von Serben besetzten kroatischen Gebieten mit Hilfe
  41.    der UNO ein sogenannter Status Quo eingetreten war, verlagerten sich
  42.    die Konflikte nach Bosnien.
  43.    Von Anfang an bestand auch in Bosnien der Drang nach Souveränität.
  44.    Man wollte jedoch den direkten Konflikt vermeiden, wie er vorher
  45.    schon in Kroatien stattfand. Stattdessen baute man darauf, daß sich
  46.    die JVA in Kroatien verausgabt, und es so nicht zu militärischen
  47.    Auseinandersetzungen in Bosnien käme. Durch gezielte Provokationen
  48.    der Serben Anfang 1992 verlagerte sich der Konflikt jedoch auch
  49.    dorthin. Diese Rechnung konnte also nicht aufgehen, denn die damaligen
  50.    Machthaber in Bosnien bedachten nicht, daß Bosnien die gesamte
  51.    Problematik des ehemaligen Jugoslawiens in einem einzigen Teilstaat
  52.    konzentrierte.
  53.  
  54. --------------------------------------------------------------------------
  55.  
  56. F: Warum ist gerade der Krieg in BiH so problematisch?
  57.  
  58. A: In BiH, im Gegensatz zu Slowenien oder Kroatien, sind die drei
  59.    Konfliktparteien anders verteilt (s.u.).
  60.    Da sich die drei "rivalisierenden" Bevölkerungsgruppen auf engstem
  61.    Raum untereinander befinden, und nicht "nur" die einen eine Minder-
  62.    heit von < 5 % darstellen, ist die Problematik wohl klar. Die
  63.    Kräfte sind nunmal ein wenig anders verteilt.
  64.  
  65. --------------------------------------------------------------------------
  66.  
  67. F: Wie genau sind denn diese drei Bevölkerungsgruppen verteilt?
  68.  
  69. A:          | Ex-Jugoslawien allgemein | Bosnien und Herzegowina
  70.    ---------+--------------------------+------------------------
  71.    Serben:  |                     36 % | (32) %
  72.    Kroaten: |                     20 % | (22) %
  73.    Moslems: |                      9 % | (45) %
  74.  
  75. Die eingeklammerten Zahlen stellen eine Schätzung dar,
  76. und sollten nicht als verbindlich angesehen werden.
  77. --------------------------------------------------------------------------
  78.  
  79. F: Wie sieht das aus, wer kämpfte eigentlich wann mit wem?
  80.  
  81. A: Am Anfang waren Kroaten und Moslems noch Verbündete gegen die Serben,
  82.    welche fast das gesamte Waffenpotential der ehemalig jugoslawischen
  83.    Armee besaßen. Später trennte sich diese Koalition allerdings auf,
  84.    vor allem wegen lokaler Streitereien, d.h. man war sich nicht einig,
  85.    wem dieses oder jenes Dorf "gehören" sollte, woraufhin man sich dann
  86.    gegenseitig beschoß. Teilweise sah/sieht es sogar so aus, daß sich
  87.    zwei Parteien verbündeten/verbünden, um dann gegen den unterlegenen
  88.    Dritten zu kämpfen. Serben und Kroaten gegen Moslems, Kroaten und
  89.    Moslems gegen Serben, Moslems und Serben gegen Kroaten, alles war
  90.    vorhanden. Selbst Moslems kämpfen gegen Moslems (!). Aber in der
  91.    Hauptsache sieht es heute so aus, daß jeder gegen jeden kämpft.
  92.    Kroaten und Serben haben dabei noch den Vorteil, daß ihre Armeen "aus
  93.    der Heimat", d.h. aus Kroatien und Serbien verstärkt werden, sowohl
  94.    mit Material, als auch mit Soldaten (Gardisten, Milizen, Freischärler,
  95.    und wie sie alle heißen), obwohl dies offiziell nicht zugeben wird.
  96.    Obwohl man abschließend zu dieser Frage feststellen muß, daß eine klare
  97.    Antwort verwehrt bleibt, zeigt sie doch die ganze Absurdität dieses
  98.    Krieges.
  99.  
  100. --------------------------------------------------------------------------
  101.  
  102. F: Welche Möglichkeiten gibt es, den Krieg zu beenden, und wie würde ein
  103.    aktives Eingreifen (d.h. mit Waffengewalt) der UNO aussehen?
  104.  
  105. A: Ehrlich gesagt, ich weiß keine Universal-Lösung. Allerdings, wenn man
  106.    die Folgen bedenkt, die ein Eingreifen der Blauhelme mit sich führen
  107.    würde, kann man von dieser Idee nur ablassen. Das eigentliche Ziel,
  108.    Frieden zu erreichen, kann man so sicherlich nicht erreichen. Desweiteren
  109.    scheint dies aufgrund der Topographie des Landes sowieso schwer bis
  110.    unmöglich.
  111.    Vielmehr sollte man sich darauf konzentrieren, die Widerstandsgruppen
  112.    gegen den Krieg, die überall vorhanden sind, zu unterstützen und zu
  113.    verstärken. Organisationen in Zagreb, Sarajevo und Belgrad bemühen sich,
  114.    den Krieg "von hinten" zu beenden, was unbedingt unterstützt werden
  115.    sollte. Desweiteren gilt es, die oppositionellen (gemäßigteren)
  116.    Parteien auf allen Seiten zu unterstützen, sowie auf die Medien
  117.    einzuwirken, welche eine immense Rolle spielen. In Kroatien beispiels-
  118.    weise gibt es ganze 4 (!) unabhängige Tageszeitungen. Die Alternative
  119.    Embargo ist zweifelhaft, da durch sie zuletzt das Miltär beeinflußt
  120.    wird, und zuerst die Bevölkerung. Außerdem wird das Embargo eh nicht
  121.    eingehalten.
  122.    Was der Westen machen kann, ist die Perspektive der Integration in
  123.    Europa zu bieten, welche nur dann stattfindet, wenn dort der Frieden
  124.    gewährleistet wird. Der Wunsch nach Europa ist in allen Konfliktstaaten
  125.    sehr groß. Der Westen muß klar machen, daß ohne Frieden der Weg nach
  126.    Europa für die nächsten hundert Jahre versprerrt ist.
  127.  
  128. --------------------------------------------------------------------------
  129.  
  130. F: Wurde der Krieg durch die Anerkennungspolitik Deutschlands gefördert?
  131.  
  132. A: Eine schwierige Frage, über die allgemeine Uneinigkeit herrscht. Ich
  133.    persönlich bin der Meinung, daß auch die Nichtanerkennung den Krieg
  134.    nicht hätte verhindern können.
  135.  
  136.   "Mit dem Wegfall der starken zentralistischen Führung gab es einfach
  137.   keinen Grund mehr für die einzelnen Republiken, ihre Politik weiter
  138.   durch eine serbisch dominierte Zentralregierung bestimmen zu lassen.
  139.   Jugoslawien war nie etwas anderes als ein durch politische und mili-
  140.   tärische Gewalt eingeführtes und aufrechterhaltenes Kunstprodukt. Der
  141.   Zerfall dieses Staates war eine logische Konsequenz der vorhergehenden
  142.   Ereignisse, und er wäre genauso passiert wenn keine Anerkennung der
  143.   Teilrepubliken stattgefunden hätte. Die Anerkennung war ein gutgemeinter
  144.   Versuch, Serbien davon abzuhalten sein Imperium mit militärischer Gewalt
  145.   aufrechterhalten zu wollen. Die Serben haben sich leider nicht
  146.   abschrecken lassen." [1]
  147.  
  148. --------------------------------------------------------------------------
  149.  
  150.  
  151. F: Worum kämpfen die verschiedenen Kriegsparteien eigentlich?
  152.  
  153. A: In erster Linie wird dort um territoriale Ansprüche gekämpft.
  154.    Serbien strebt nach einem sogenannten "Großserbien". Die in Bosnien
  155.    lebenden Kroaten streben mittlerweile auch einen Anschluß an ihren
  156.    "Mutterstaat" an, und haben sich vor ca. 2 Jahren auch als autonom
  157.    erklärt. Hauptstadt dieses autonomen Gebietes ist Mostar.
  158.    Die Moslems wollen in Bosnien soviele Gebiete wie möglich für sich
  159.    beanspruchen. Hier eine "gerechte" Lösung zu finden ist genauso
  160.    schwierig, wie den Gordischen Knoten zu lösen, mit dem Unterschied,
  161.    daß das legendäre Schwert wie bereits geschrieben, auch keine Alter-
  162.    native darstellen würde.
  163.    Gekämpft wird vor allem dort, wo in einem Dorf / in einer Stadt
  164.    die Bevölkerung nicht homogen verteilt ist, sondern zwei oder
  165.    gar drei Gruppen, in mehr oder weniger gleichwertiger Verteilung
  166.    vorhanden sind. Jede der Parteien versucht dann, die andere/n aus
  167.    dem Gebiet zu vertreiben. Der Begriff der "Ethnischen Säuberung"
  168.    fällt hier recht häufig. Vom Standpunkt des Westens zu beurteilen,
  169.    wer der "Gute" und wer der "Böse" ist erscheint fragwürdig. Alle
  170.    beteiligten trifft eine mehr oder weniger hohe Teilschuld, wobei
  171.    davon ausgegangen werden muß, daß die kriegerischen Auseinander-
  172.    setzungen von Serben initiiert bzw. provoziert wurden.
  173.  
  174. --------------------------------------------------------------------------
  175.  
  176. F: Welche Auswirkungen hatten die Friedensbemühungen der EU?
  177.  
  178. A: Bisher praktisch keine.
  179.  
  180. ==========================================================================
  181.  
  182. Mein Dank geht an Jan Schnellenbach @ AWorld.zer für die Passage [1],
  183. Andrej Ardalic für's Korrekturlesen (auf faktische Richtigkeit) und
  184. meinem Vater für die Bereitstellung seiner Literatur.
  185.  
  186. Der Weiterverbreitung dieses Textes im Netz, bei Eigenberichten bitte
  187. mit Quellenangabe, ist ausdrücklich erwünscht. Desweiteren bitte ich
  188. im Fall einer Weiterverwendung um eine kurze Mitteilung, sowie, wenn's
  189. geht, um den Belegtext. Außerhalb des Netzes bleibt das Copyright bei
  190. mir, und zum Nachdruck braucht's meine schriftliche Genehmigung. Amen!
  191.  
  192. Andreas Jäger, Rijeka/Kroatien, Januar 1994
  193.  
  194.  
  195.  
  196.  
  197. EMail: ANDREAS.JAEGER@ZAMIR-ZG.zer.sub.org // A.JAEGER@STARGATE.ZER
  198. Snail: Andreas Jäger, Beciceva 8, 51000 Rijeka, Republic of Croatia
  199. Voice: ++385(0)532-424-323 / (0)51/266-234 ## CrossPoint v2.93 R ##
  200.