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- FAQ: Krieg im ehemaligen Jugoslawien
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- F: Wer sind überhaupt die Konfliktparteien?
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- A: Die Konfliktparteien sind Serben, Kroaten und Moslems. Diese
- Gruppen unterscheiden sich zusätzlich noch durch ihre Religion,
- denn während Serben i.d.R. orthodox sind, gehören Kroaten der
- römisch-katholischen Kirche, und Moslems dem Islam an, welche
- man allerdings keinesfalls als Fundamentalisten bezeichnen kann.
- Wichtig hierbei ist es allerdings noch, zwischen den verschiedenen
- Volksgruppen der Serben und Kroaten noch weiter zu differenzieren.
- So unterscheiden wir die in Serbien lebenden Serben, die in Bosnien
- und die in Kroatien lebenden Serben. Genauso die in Kroatien lebenden
- Kroaten, die in Bosnien lebenden Kroaten, und, nicht zu vernach-
- lässigen, die in Serbien lebenden Kroaten (sehr wenig, aber vorhanden).
- Selbst die Moslems sind nicht als einheitliche Konfliktpartei zu be-
- trachten, denn es gibt selbst innerhalb der Moslems noch eine Gruppe,
- angeführt von Abdic, welche sich innerhalb Bosniens für autonom erklärt
- hat. Zusammenfassend kann man sagen, daß es Konfliktparteien im herkömm-
- lichen Sinne nicht gibt, denn die einzelnen Parteien sind heute Freunde
- und morgen Feinde (s.u. "Wer kämpft mit wem?").
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- F: Wo genau findet der Krieg statt?
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- A: Am Anfang, also nach der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens und
- Sloweniens (Juni '91), fand der Krieg noch eben in Slowenien (am
- Flughafen von Ljubiljana kam es zu den ersten Schüssen) und Kroatien
- statt. Später entfernte sich der Krieg aus Slowenien, in die
- verschiedenen Grenzgebiete Kroatiens. Vor allem die Städte Osijek
- und Vukovar waren zu diesem Zeitpunkt stark betroffen. Danach wurde
- ein Drittel des Staatsgebietes von Kroatien durch serbische Frei-
- schärler mit Unterstützung durch die ehem. jugoslawische Volksarmee
- (faktisch: die serbische Armee) besetzt.
- Nachdem in den von Serben besetzten kroatischen Gebieten mit Hilfe
- der UNO ein sogenannter Status Quo eingetreten war, verlagerten sich
- die Konflikte nach Bosnien.
- Von Anfang an bestand auch in Bosnien der Drang nach Souveränität.
- Man wollte jedoch den direkten Konflikt vermeiden, wie er vorher
- schon in Kroatien stattfand. Stattdessen baute man darauf, daß sich
- die JVA in Kroatien verausgabt, und es so nicht zu militärischen
- Auseinandersetzungen in Bosnien käme. Durch gezielte Provokationen
- der Serben Anfang 1992 verlagerte sich der Konflikt jedoch auch
- dorthin. Diese Rechnung konnte also nicht aufgehen, denn die damaligen
- Machthaber in Bosnien bedachten nicht, daß Bosnien die gesamte
- Problematik des ehemaligen Jugoslawiens in einem einzigen Teilstaat
- konzentrierte.
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- F: Warum ist gerade der Krieg in BiH so problematisch?
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- A: In BiH, im Gegensatz zu Slowenien oder Kroatien, sind die drei
- Konfliktparteien anders verteilt (s.u.).
- Da sich die drei "rivalisierenden" Bevölkerungsgruppen auf engstem
- Raum untereinander befinden, und nicht "nur" die einen eine Minder-
- heit von < 5 % darstellen, ist die Problematik wohl klar. Die
- Kräfte sind nunmal ein wenig anders verteilt.
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- F: Wie genau sind denn diese drei Bevölkerungsgruppen verteilt?
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- A: | Ex-Jugoslawien allgemein | Bosnien und Herzegowina
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- Serben: | 36 % | (32) %
- Kroaten: | 20 % | (22) %
- Moslems: | 9 % | (45) %
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- Die eingeklammerten Zahlen stellen eine Schätzung dar,
- und sollten nicht als verbindlich angesehen werden.
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- F: Wie sieht das aus, wer kämpfte eigentlich wann mit wem?
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- A: Am Anfang waren Kroaten und Moslems noch Verbündete gegen die Serben,
- welche fast das gesamte Waffenpotential der ehemalig jugoslawischen
- Armee besaßen. Später trennte sich diese Koalition allerdings auf,
- vor allem wegen lokaler Streitereien, d.h. man war sich nicht einig,
- wem dieses oder jenes Dorf "gehören" sollte, woraufhin man sich dann
- gegenseitig beschoß. Teilweise sah/sieht es sogar so aus, daß sich
- zwei Parteien verbündeten/verbünden, um dann gegen den unterlegenen
- Dritten zu kämpfen. Serben und Kroaten gegen Moslems, Kroaten und
- Moslems gegen Serben, Moslems und Serben gegen Kroaten, alles war
- vorhanden. Selbst Moslems kämpfen gegen Moslems (!). Aber in der
- Hauptsache sieht es heute so aus, daß jeder gegen jeden kämpft.
- Kroaten und Serben haben dabei noch den Vorteil, daß ihre Armeen "aus
- der Heimat", d.h. aus Kroatien und Serbien verstärkt werden, sowohl
- mit Material, als auch mit Soldaten (Gardisten, Milizen, Freischärler,
- und wie sie alle heißen), obwohl dies offiziell nicht zugeben wird.
- Obwohl man abschließend zu dieser Frage feststellen muß, daß eine klare
- Antwort verwehrt bleibt, zeigt sie doch die ganze Absurdität dieses
- Krieges.
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- F: Welche Möglichkeiten gibt es, den Krieg zu beenden, und wie würde ein
- aktives Eingreifen (d.h. mit Waffengewalt) der UNO aussehen?
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- A: Ehrlich gesagt, ich weiß keine Universal-Lösung. Allerdings, wenn man
- die Folgen bedenkt, die ein Eingreifen der Blauhelme mit sich führen
- würde, kann man von dieser Idee nur ablassen. Das eigentliche Ziel,
- Frieden zu erreichen, kann man so sicherlich nicht erreichen. Desweiteren
- scheint dies aufgrund der Topographie des Landes sowieso schwer bis
- unmöglich.
- Vielmehr sollte man sich darauf konzentrieren, die Widerstandsgruppen
- gegen den Krieg, die überall vorhanden sind, zu unterstützen und zu
- verstärken. Organisationen in Zagreb, Sarajevo und Belgrad bemühen sich,
- den Krieg "von hinten" zu beenden, was unbedingt unterstützt werden
- sollte. Desweiteren gilt es, die oppositionellen (gemäßigteren)
- Parteien auf allen Seiten zu unterstützen, sowie auf die Medien
- einzuwirken, welche eine immense Rolle spielen. In Kroatien beispiels-
- weise gibt es ganze 4 (!) unabhängige Tageszeitungen. Die Alternative
- Embargo ist zweifelhaft, da durch sie zuletzt das Miltär beeinflußt
- wird, und zuerst die Bevölkerung. Außerdem wird das Embargo eh nicht
- eingehalten.
- Was der Westen machen kann, ist die Perspektive der Integration in
- Europa zu bieten, welche nur dann stattfindet, wenn dort der Frieden
- gewährleistet wird. Der Wunsch nach Europa ist in allen Konfliktstaaten
- sehr groß. Der Westen muß klar machen, daß ohne Frieden der Weg nach
- Europa für die nächsten hundert Jahre versprerrt ist.
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- F: Wurde der Krieg durch die Anerkennungspolitik Deutschlands gefördert?
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- A: Eine schwierige Frage, über die allgemeine Uneinigkeit herrscht. Ich
- persönlich bin der Meinung, daß auch die Nichtanerkennung den Krieg
- nicht hätte verhindern können.
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- "Mit dem Wegfall der starken zentralistischen Führung gab es einfach
- keinen Grund mehr für die einzelnen Republiken, ihre Politik weiter
- durch eine serbisch dominierte Zentralregierung bestimmen zu lassen.
- Jugoslawien war nie etwas anderes als ein durch politische und mili-
- tärische Gewalt eingeführtes und aufrechterhaltenes Kunstprodukt. Der
- Zerfall dieses Staates war eine logische Konsequenz der vorhergehenden
- Ereignisse, und er wäre genauso passiert wenn keine Anerkennung der
- Teilrepubliken stattgefunden hätte. Die Anerkennung war ein gutgemeinter
- Versuch, Serbien davon abzuhalten sein Imperium mit militärischer Gewalt
- aufrechterhalten zu wollen. Die Serben haben sich leider nicht
- abschrecken lassen." [1]
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- F: Worum kämpfen die verschiedenen Kriegsparteien eigentlich?
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- A: In erster Linie wird dort um territoriale Ansprüche gekämpft.
- Serbien strebt nach einem sogenannten "Großserbien". Die in Bosnien
- lebenden Kroaten streben mittlerweile auch einen Anschluß an ihren
- "Mutterstaat" an, und haben sich vor ca. 2 Jahren auch als autonom
- erklärt. Hauptstadt dieses autonomen Gebietes ist Mostar.
- Die Moslems wollen in Bosnien soviele Gebiete wie möglich für sich
- beanspruchen. Hier eine "gerechte" Lösung zu finden ist genauso
- schwierig, wie den Gordischen Knoten zu lösen, mit dem Unterschied,
- daß das legendäre Schwert wie bereits geschrieben, auch keine Alter-
- native darstellen würde.
- Gekämpft wird vor allem dort, wo in einem Dorf / in einer Stadt
- die Bevölkerung nicht homogen verteilt ist, sondern zwei oder
- gar drei Gruppen, in mehr oder weniger gleichwertiger Verteilung
- vorhanden sind. Jede der Parteien versucht dann, die andere/n aus
- dem Gebiet zu vertreiben. Der Begriff der "Ethnischen Säuberung"
- fällt hier recht häufig. Vom Standpunkt des Westens zu beurteilen,
- wer der "Gute" und wer der "Böse" ist erscheint fragwürdig. Alle
- beteiligten trifft eine mehr oder weniger hohe Teilschuld, wobei
- davon ausgegangen werden muß, daß die kriegerischen Auseinander-
- setzungen von Serben initiiert bzw. provoziert wurden.
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- F: Welche Auswirkungen hatten die Friedensbemühungen der EU?
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- A: Bisher praktisch keine.
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- Mein Dank geht an Jan Schnellenbach @ AWorld.zer für die Passage [1],
- Andrej Ardalic für's Korrekturlesen (auf faktische Richtigkeit) und
- meinem Vater für die Bereitstellung seiner Literatur.
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- Der Weiterverbreitung dieses Textes im Netz, bei Eigenberichten bitte
- mit Quellenangabe, ist ausdrücklich erwünscht. Desweiteren bitte ich
- im Fall einer Weiterverwendung um eine kurze Mitteilung, sowie, wenn's
- geht, um den Belegtext. Außerhalb des Netzes bleibt das Copyright bei
- mir, und zum Nachdruck braucht's meine schriftliche Genehmigung. Amen!
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- Andreas Jäger, Rijeka/Kroatien, Januar 1994
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- EMail: ANDREAS.JAEGER@ZAMIR-ZG.zer.sub.org // A.JAEGER@STARGATE.ZER
- Snail: Andreas Jäger, Beciceva 8, 51000 Rijeka, Republic of Croatia
- Voice: ++385(0)532-424-323 / (0)51/266-234 ## CrossPoint v2.93 R ##
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